Die Version 0.58 ist fertig und kann hier runtergeladen werden:Myschkin_f58
„Das Schlimme aber ist, dass Bucharin nicht an Bescheidenheit leidet.“
1928 vollzog Stalin einen radikalen Kurswechsel. Damals entstand der erste 5-Jahr-Plan, die Bauern wurden durch die sogenannte „Entkulakisierung“ in Not und Elend gestürzt. Und auf dem Land, in den „Kornkammern“ des Landes, vor allem in der Ukraine, entwickelte sich in Folge dieser katastrophalen Politik eine der größten Hungersnöte des 20.Jahrhunderts.
Der Kurswechsel betraf auch die Kommunistische Internationale, hier vor allem die Kommunistische Partei Deutschlands, die damals größte kommunistische Partei nach der KPdSU.
Das ZK der KPD hatte gerade Thälmann abgesetzt, weil sein Skatbruder Wittlich Parteigelder unterschlagen hatte.
Stalin sorgte dafür, dass Thälmann im Amt blieb und stattdessen die ausgeschlossen wurden, die die Unterschlagung aufgedeckt hatten.
Viel schlimmer war aber, dass Stalin Thälmann und Genossen auf einen abenteuerlichen Kurs einschwor: Die Sozialdemokraten sind der Hauptfeind und die linken Sozialdemokraten die Schlimmsten, weil sie verhindern, dass die Massen zu den Kommunisten strömen.
Deswegen müssen die Kommunisten hauptsächlich die Sozialdemokraten, die nun Sozialfaschisten genannt wurden, bekämpfen.
Ohne diese Politik wäre Hitler vermutlich nie an die Macht gekommen.
Dazu trug sowohl die Konzentration des Kampfes auf die Sozialdemokraten als auch die inflationäre Verwendung des Begriffs „Faschismus“ bei, die entscheidend dafür sorgte, dass die Nazis verharmlost wurden.
So wurde Stalins Kurswechsel für zwei Länder zum Verhängnis und führte schnurstracks in die grösste Katastrophe die Europa jemals erlebt hat.
Begründet wurde all dies mit seiner Theorie der „Klassenverlagerungen“. Ein ausgesprochen seltsames Wort, jedenfalls im Deutschen.
Nach dieser Theorie führt der Erfolg des Sozialismus in der Sowjetunion (in Wirklichkeit eher ein Potemkinsches Dorf) automatisch zur Verschärfung des Klassenkampfs zwischen Bourgeoisie und Proletariat.
In diesem Kampf geht für „aufrechte Kommunisten“ wie Stalin die grösste Gefahr von den anderen Linken aus. Sie werden zur letzten Bastion des Kapitalismus im Kampf gegen den siegreichen Sozialismus.
Deswegen kann und darf man auch mit Faschisten paktieren. Sie sind weniger gefährlich.
Diesen ganzen theoretischen Stuss breitete er u.a. auf einer ZK-Tagung 1929 aus:
„Über die rechte Abweichung in der KpdSU(B) – Aus einer Rede auf dem Plenum des ZK der KPdSU (B) im April 1929“
(J.Stalin, Fragen des Leninismus, Verlag für fremdsprachige Literatur, Moskau 1946, Seite 261 ff.)
Es ist bemerkenswert, dass auch Stalin behauptet einen Kurs der Mitte zu fahren, warnt er doch vor „linken“ und „rechten“ Abweichungen.
Dabei macht er es wie andere Politiker auch und behauptet, wo er stehe sei die „Mitte“.
Es ist überhaupt etwas Merkwürdiges an diesem Begriff der „Mitte“.
„Links“ und „rechts“ bezeichnen normalerweise Positionen die Gleichheit fordern, wenn sie links sind oder die Ungleichheit für gottgegeben halten, wenn sie rechts sind.
Traditionell sind daher die Begriffe links und rechts auch mit den Begriffen „progressiv“ und „konservativ“ verknüpft.
Die Vertreter der Ungleichheit wünschen für gewöhnlich die Welt so ungleich zu belassen, wie sie ist und gelten deswegen als konservativ.
Allerdings haben diese Status-Konservativen durch Ökologiebewegung und grüne Parteien mittlerweile Konkurrenz bekommen: Wer das ökologische Gleichgewicht wahren will, muss skeptisch sein gegen vieles was als „Fortschritt“ daher kommt, aber deswegen ist man noch lange nicht dafür, dass der Herr Herr bleibt und der Knecht Knecht.
Im Gegenteil: Gerade weil der Anteil der Frauen an der Umweltbewegung eher überdurchschnittlich ist, ist auch der Wille endlich die Gleichberechtigung der Geschlechter herzustellen, sehr groß.
D.h. es gibt jetzt auch einen linken Konservativismus.
Was bedeutet in diesem Zusammenhang nun „Mitte“ ?
Es ist der Wunsch des Spießers man möge es in keiner Weise und in keine Richtung übertreiben.
Nicht zu viel Gleichheit, weil dann die eigenen Privilegien in Gefahr geraten, aber auch nicht zuviel Ungleichheit, weil man sich dann zu tief vor anderen bücken muss.
Und der Fortschritt soll gemäßigt bzw. der Konservativismus trotzdem fortschrittlich sein.
Deswegen gelten Umweltschützer manchmal als „extremistisch“ weil sie ein bestimmtes Stück Natur unbedingt erhalten wollen und nicht dafür sind es bloß ein bisschen zu zerstören.
Die Kämpfer um die „Mitte“ können dann im Zweifel sehr militant werden.
Man spricht deswegen auch vom „Extremismus der Mitte“.
Stalin war ein solcher mittiger Extremist.
Wobei seine Mitte er war und niemand sonst.
Er gehört zu jener gar nicht so seltenen Spezies Mann, die das erste Gebot am liebsten auf sich selbst beziehen:
„Ich, ich der ich hier stehe, bin der HERR Dein Gott und Du sollst keine anderen Götter neben mir haben !“.
Im Falle Stalins war es für jeden neben ihm gefährlich, ja lebensgefährlich, wenn ER auch nur den Eindruck gewinnen konnte, da könnte ihm einer überlegen sein.
Bucharin war ihm überlegen, jedenfalls im Denken, keineswegs aber in der Beherrschung der bürokratischen Machtmaschine.
Natürlich wurden die „Rechten“ und ihre Politik von Stalin nicht bekämpft weil sie irgendwelchen falschen Prinzipien folgten. Stalins Stärke beruhte ja gerade darauf, dass er keine Prinzipien kannte, nur Machtstreben und das Verlangen nach Unterwerfung.
Die „Rechten“, aber mehr noch die Ergebnisse ihrer Politik: wirtschaftliche Entwicklung, Handel und Wandel, wurden seiner Macht gefährlich.
Bis 1928 wurde ja wirtschaftspolitisch eine Art staatliche Marktwirtschaft betrieben. Der Außenhandel war monopolisiert, der Getreideaufkauf war staatlich, aber die Bauern waren selbstständig, die meisten Handwerker auch, sofern sich nicht in Genossenschaften zusammen geschlossen hatten. Die Großindustrie war staatlich, allerdings operierten die einzelnen Betriebe auf eigene Rechnung und konnten bankrott gehen.
Das neue System ähnelte in vielerlei Hinsicht dem alten, nur dass die Herren gewechselt hatten.
Dieses System, das übrigens nicht ganz zufällig dem heutigen chinesischen System ähnelt, schließlich war Deng tsia ping Bucharin-Schüler in damaliger Zeit und auf der Moskauer Kommintern-Schule, wollte Bucharin weiter entwickeln.
Inwiefern bei einer solchen Weiterentwicklung irgendwann auch mehr Demokratie und Selbstverwaltung auf der Tagesordnung gestanden hätte, bleibt natürlich spekulativ.
Unbestritten sollte aber sein, dass Marktbeziehungen, wie staatlich gebändigt der Markt auch immer ist, die Macht bürokratischer, hierarchischer Organisationen unterspülen. Marx und Engels beschreiben diesen Prozess ja am Anfang des „Kommunistischen Manifests“ sehr eindrücklich. Genau daraus leitet sich ja ihre These ab, dass in einer kapitalistischen Welt früher oder später jede andere Form von Ausbeutung und Unterdrückung weg gespült wird.
Bucharin und hier konnten sie sich vollkomen zu Recht auf Lenin berufen, wollten aber den Kapitalismus entwickeln um zum Sozialismus zu kommen. Damit gefährdeten sie aber das ganz besonders vom „Generalssekretär“ Stalin erfolgreich restaurierte bürokratisch-despotische Regime in seinen Grundfesten. Das war das eigentliche Verbrechen.
Wenn man nun schaut, wie Stalin in diesem ZK-Plenum argumentiert, stellt man erstaunt fest, er argumentiert gar nicht. Er stellt fest:
„Worin bestehen unsere Meinungsverschiedenheiten, womit hängen sie zusammen ?
Sie hängen vor allen Dingen mit der Frage der Klassenverlagerungen zusammen, die in letzter Zeit in unserem Lande und in den kapitalistischen Ländern vor sich gehen. Manche Genossen glauben, daß die Meinungsverschiedenheiten in unserer Partei zufälligen Charakter tragen. Das ist unrichtig, Genossen. Das ist völlig unrichtig. Die Meinungsverschiedenheiten in unserer Partei sind entstanden auf der Grundlage der Klassenverlagerungen, auf der Grundlage der Verschärfung des Klassenkampfs, die in letzter Zeit vor sich geht und die einen Umschwung in der Entwicklung hervorruft. Der Hauptfehler der Gruppe Bucharins besteht darin, daß sie diese Verlagerungen und diesen Umschwung nicht sieht, sie nicht sieht und nicht bemerken will.“
(a.a.O. Seite 261)
Da es das Wort „Klassenverlagerungen“ im Deutschen definitiv nicht gibt, sich aber die „rechten“ Kommunisten des schweren Verbrechens schuldig gemacht haben sollen ein Wort, das sie vielleicht ebenfalls nicht kennen, nicht beachtet zu haben, erwartet man als gespannter Leser, dass Stalin erklärt was er meint.
Nur diese Hoffnung ist vergeblich.
Es wäre dann auch zu schnell aufgefallen, dass das ganze Geheimnis dieser „Theorie“ darin besteht Menschen aus anderen Arbeiterparteien, aber auch die eigenen GenossInnen zu „Klassenfeinden“ zu erklären und damit aus soziologischen Begriffen wie „Kleinbürger“, „Arbeiter“ oder „Bourgeois“ bloße Etiketten zu machen, die man seinen politischen Gegnern oder Freunden anheftet.
Wobei diese Begriffsverwirrung ihre tiefere Ursache zweifellos darin hat, dass der Bürokrat Stalin durch substanzlose Polemik davon ablenken musste, dass er und seine Parteigänger es eigentlich waren, die mit dem Auf- und Ausbau ihrer Herrschaft ihre angeblichen Ideale schon lange verraten hatten.
Auch in diesem Fall blamiert sich die Idee vor dem Interesse.
Stalins Vorwürfe an Bucharin gipfeln dann darin, dass er ihm vorwirft eine eigene, von Lenin abweichende Meinung vertreten zu haben:
„Das Schlimme aber ist, dass Bucharin nicht an Bescheidenheit leidet. Das Schlimme ist, dass er nicht nur nicht an Bescheidenheit leidet, sondern sich sogar unterfängt, unseren Lehrer Lenin in einer ganzen Reihe Fragen zu belehren, und zwar vor allen Dingen in der Frage des Staates. Das ist das Schlimme, Genossen.“
(a.a.O. Seite 302)
Der Seminarist Dschugaschwili hat hier einen Mitschüler ertappt, der sich tatsächlich traut eigenständig über Fragen des Glaubens nach zu denken.
Dabei gehört es sich doch für einen Rechtgläubigen, dass er die großen Lehrer fleissig zitieren kann und es dabei belässt. Denn im eigenen Denken lauert die Häresie. Allerdings besteht die große Kunst des Zitierens auch darin, dass das wirkliche Leben oft weit von den Lehren entfernt ist und dass man dann so zitiert als hätten die große Lehrer schon immer die gegenwärtige Praxis legitimiert.
Im weiteren Verlauf zitiert er dann fleissig die „Kirchenlehrer“ Lenin und Engels zur Rolle des Staates im Sozialismus. Wobei ihm Engels erkennbar Pobleme macht, denn Engels geht ganz selbstverständlich davon aus, dass in einer sozialistischen Gesellschaft vom Beginn an Schritt für Schritt staatliche Funktionen durch genossenschaftliche Selbstverwaltung abgelöst und ersetzt werden.
„Indem die kapitalistische Produktionsweise mehr und mehr die große Mehrzahl der Bevölkerung in Proletarier verwandelt, schafft sie die Macht, die diese Umwälzung, bei Strafe des Untergangs, zu vollziehn genötigt ist. Indem sie mehr und mehr auf Verwandlung der großen, vergesellschafteten Produktionsmittel in Staatseigentum drängt, zeigt sie selbst den Weg an zur Vollziehung dieser Umwälzung. Das Proletariat ergreift die Staatsgewalt und verwandelt die Produktionsmittel zunächst in Staatseigentum. Aber damit hebt es sich selbst als Proletariat, damit hebt es alle Klassenunterschiede und Klassengegensätze auf, und damit auch den Staat als Staat. Die bisherige, sich in Klassengegensätzen bewegende Gesellschaft hatte den Staat nötig, das heißt eine Organisation der jedesmaligen ausbeutenden Klasse zur Aufrechterhaltung ihrer äußern Produktionsbedingungen, also namentlich zur gewaltsamen Niederhaltung der ausgebeuteten Klasse in den durch die bestehende Produktionsweise gegebnen Bedingungen der Unterdrückung (Sklaverei, Leibeigenschaft oder Hörigkeit, Lohnarbeit). Der Staat war der offizielle Repräsentant der ganzen Gesellschaft, ihre Zusammenfassung in einer sichtbaren Körperschaft, aber er war dies nur, insofern er der Staat derjenigen Klasse war, welche selbst für ihre Zeit die ganze Gesellschaft vertrat: im Altertum Staat der sklavenhaltenden Staatsbürger, im Mittelalter des Feudaladels, in unsrer Zeit der Bourgeoisie. Indem er endlich tatsächlich Repräsentant der ganzen Gesellschaft wird, macht er sich selbst überflüssig. Sobald es keine Gesellschaftsklasse mehr in der Unterdrückung zu halten gibt, sobald mit der Klassenherrschaft und dem in der bisherigen Anarchie der Produktion begründeten Kampf ums Einzeldasein auch die daraus entspringenden Kollisionen und Exzesse beseitigt sind, gibt es nichts mehr zu reprimieren, das eine besondre Repressionsgewalt, einen Staat, nötig machte. Der erste Akt, worin der Staat wirklich als Repräsentant der ganzen Gesellschaft auftritt – die Besitzergreifung der Produktionsmittel im Namen der Gesellschaft – ist zugleich sein letzter selbständiger Akt als Staat. Das Eingreifen einer Staatsgewalt in gesellschaftliche Verhältnisse wird auf einem Gebiete nach dem andern überflüssig und schläft dann von selbst ein. An die Stelle der Regierung über Personen tritt die Verwaltung von Sachen und die Leitung von Produktionsprozessen. Der Staat wird nicht »abgeschafft«, er stirbt ab. Hieran ist die Phrase vom »freien Volksstaat« zu messen, also sowohl nach ihrer zeitweiligen agitatorischen Berechtigung wie nach ihrer endgültigen wissenschaftlichen Unzulänglichkeit; hieran ebenfalls die Forderung der sogenannten Anarchisten, der Staat solle von heute auf morgen abgeschafft werden.“
[Engels: Herrn Eugen Dührings Umwälzung der Wissenschaft. Marx/Engels: Ausgewählte Werke, S. 8145-8147
(vgl. MEW Bd. 20, S. 261-262)
http://www.digitale-bibliothek.de/band11.htm ]
Was wirklich gewesen war zu wissen und zu begreifen, ist nicht einfach. Zu verstehen was ist, was hier und jetzt mit uns geschieht, ist noch viel, viel schwerer.
Aber die Zukunft zu wissen ist unmöglich.
Wer weiß schon wohin die Schmetterlinge fliegen werden, schließlich wissen sie es selbst noch nicht.
Deshalb ist das Nachdenken über die Zukunft auch der Ort der Hoffnung und des Glaubens. „Glaube, Liebe, Hoffnung diese drei, aber die Liebe ist das Höchste“ wie es Paulus formuliert hat.
Nicht nur religiöse Menschen glauben. Niemand kann über die Zukunft sprechen, ohne dass Glauben eine Rolle spielt. Und der paulinische Dreiklang beschreibt den Kompass, den wir brauchen, wenn wir uns ins Morgen auf den Weg machen.
Auch wenn Engels von der Zukunft spricht, weiß er nicht, sondern er glaubt. Er glaubt, dass das Proletariat die Staatsmacht erobern und die Produktionsmittel verstaatlichen wird. Und dass es gewissermaßen schon am Tag danach damit beginnt, staatliche Macht in Selbstverwaltung zu überführen.
Er weiß nicht, oder besser er sieht es nicht und will es vielleicht gar nicht sehen, dass am Anfang aller Ausbeutergesellschaften eine Gesellschaft steht, in der der Staat tatsächlich die Kontrolle über alle Produktionsmittel hat.
Diese Gesellschaft nennt Marx aber „orientalische Despotie“.
Wobei der Begriff „orientalisch“ irreführend ist, denn diese Gesellschafts- und Staatsform findet sich auf (fast) allen Kontinenten.
Ja mehr noch: Als der junge Marx durch seine Geburtsstadt Trier spazierte, konnte er auf Schritt und Tritt den baulichen Resten des untergegangenen römischen Reiches begegnen. Dieses war aber spätestens seit den Tagen des Augustus eine „orientalische Despotie“.
Was ist typisch für eine solche Staats- und Gesellschaftsform ?
Eine schmale Herrenschicht, die vermittels des Staates und einer ausgeklügelten Bürokratie die ganze Gesellschaft, einschließlich der Wirtschaft, im Griff hat.
Karl-August Wittfogel, Ende der 20iger Jahre noch Mitrbeiter der KOMINTERN und Bucharins, später amerikanischer Professor, hat darüber 1957 ein Buch veröffentlicht. Er weist dort darauf hin, dass bei Marx und Engels zwei gegensätzliche Staatsvorstellungen nebeneinander existieren.
Einmal die „europäische“: Der Staat als „ideeller Gesamtkapitalist“ vertritt die übergreifenden Interessen der herrschenden Klasse, ist aber von dieser abhängig. Im „18.Brumaire“ analysiert Marx und man merkt, diese Analyse bereitet ihm Unbehagen, wie dieser Apparat sich mittels eines gewissenlosen Spielers namens Louis Bonaparte verselbständigt.
Deswegen sein lauter Jubel über die Pariser Kommune. Direkte Demokratie und kommunale Selbstverwaltung schienen die richtigen Gegenmittel gegen diese Verselbständigung des Staatsapparats zu sein (und vermutlich sind sie es auch).
Die „orientalische Despotie“ ist nun genau nichts anderes als dieser verselbständigte Staatsapparat, der alle gesellschaftlichen Bereiche, einschließlich der Wirtschaft, kontrolliert.
Insofern ist die Forderung nach Verstaatlichung aller Produktionsmittel potentiell gefährlich, weil sie zur Allmacht des Staatsapparats beitragen kann, auch dann wenn sie im Namen des Proletariats vollzogen wird.
Diese Gefahr war Engels nicht bewusst.
Rußland war schon unter dem Zar eine Despotie und blieb es auch unter den Bolschewiki. Die schon für Europa problematische Losung der Verstaatlichung erhielt hier eine andere Bedeutung und wurde zur Losung für die Erneuerung, die Modernisierung der alten despotischen Ordnung.
Die bei der Pöstchenvergabe zu kurz gekommenen Lebedews waren die sozialen Träger dieses durch und durch reaktionären und restaurativen Prozesses. Und Stalin war ihr Mann bei den Bolschewiki.
Seine „Säuberungen“ sollten jeden Rest anderer Ideen und Interessen in der herrschenden Elite tilgen.
Wie sehr der „Revolutionär“ Stalin dabei dem von Dostjewskij erfundenen „Revolutionär“ Lebedew gleicht, kann vielleicht folgendes Zitat aus der oben erwähnten Rede Stalins verdeutlichen:
„Hier hat man ein Beispiel hypertropischer Anmaßungen eines Theoretikers, der noch zu lernen hat.“
(a.a.O. Seite 307)
Dazu muss man wissen, dass sich russische Parteiführer auch durch theoretische Ausführungen als Führer legitimieren mussten. Stalin hatte in seiner früheren Zeit über die Nationalitätenfrage reüssiert, besser gesagt, der hilfsbereite Bucharin hatte ihm dazu die wesentlichen Ideen geliefert, möglicherweise sogar den kompletten Text.
Ähnelt er damit nicht in verblüffender Weise Lebedew, der dankbar sein muss, dass sich Myschkin in sein Haus einmietet, weil er und seine Familie davon lebt und der sich trotzden oder vielleicht sogar deswegen nicht entblödet, einen Hetzartikel gegen Myschkin in die Zeitung zu setzen ?
Woher nimmt eine theoretische Null namens Stalin eigentlich die Unverfrorenheit einem Bucharin Noten zu geben ?
Was für eine Anmaßung ist das denn ?
Es geht bei Stalin so weiter:
„Es ist durchaus möglich, dass Nadesda Kostantinowa (d.h. die Frau Lenins W.A.) tatsächlich mit Bucharin über die Dinge gesprochen hat, über die Bucharin hier schreibt (d.h. dass die Krupskaja Bucharin gesagt hat, dass Lenin seine, Bucharins Staatstheorie für richtiger erklärt hat als seine eigene W.A.).
Was folgt aber daraus ?“
(a.a.O. Seite 307).
Für jeden normal denkenden Menschen folgt daraus, dass sich der todkranke Lenin bei Bucharin für eine frühere Polemik entschuldigt hat, bei der er Bucharin sehr hart angegangen ist.
Allerdings gelten für Stalin, der vorher besserwisserisch die Leninsche Polemik aus dem Jahre 1916 in epischer Breite zitiert hat um den Bucharin des Jahres 1929 damit zu widerlegen, offensichtlich andere Regeln als die Regeln der Logik.
Er fährt fort:
„Daraus folgt nur das eine, dass Lenin eine gewisse Veranlassung hatte zu glauben, dass Bucharin hab sich von früheren Fehlern losgesagt oder sei bereit es zu tun. Das ist alles. Aber Bucharin kalkuliert anders. Er fand, dass von nun an nicht mehr Lenin, sondern er, d.h. Bucharin, als der eigentliche Schöpfer oder zumindest Inspirator der marxistischen Staatstheorie an zu sehen sei.“
(a.a.O. Seite 307).
Der denunziatorische Tonfall wäre des Gespanns Lebedew/Keller durchaus würdig. Dass auch das, was inhaltlich gesagt wird, mit der Wahrheit nichts zu tun hat, entspricht genauso völlig den Dostojewkischen „Vorbildern“.
Lenin schreibt in „Staat und Revolution“ seitenlang Marx und Engels ab und versucht vor allem zu beweisen, dass er der wahre, der authentische Exeget der von Marx und Engels niedergelegten ewigen Wahrheiten ist.
Bucharin liefert eine von Lenin abweichende Exegese und wird deswegen vom Herren verbellt.
Aber beide sind bloße Exegeten.
Und Marx und Engels, die tatsächlichen Schöpfer dieser Theorien haben sich immer und mit der gebotenen Deutlichkeit dagegen verwahrt, dass man Ideen überhaupt einen Ewigkeitscharakter zu spricht.
Die Exegese wahr niemals ihr Geschäft.
3 Responses to „Das Schlimme aber ist, dass Bucharin nicht an Bescheidenheit leidet.“