Willensfreiheit, Determinismus und Wechselwirkung

Ein neues Kapitel ist fertig. Entsprechend lässt sich auch eine neue Version laden.
Die findet man unter Myschkin_f0.2 hier.
Den Text des Kapitels kann man auch hier lesen:
„Man spricht gern von Kausalketten. Wobei das ein kein schöner Ausdruck ist.
Es klingt so nach Kunda Kinde und einem Sklavenschiff auf dem Weg über den Atlantik.
Ich ziehe es vor mir Schüre vor zu stellen, die von der Ursache zur Wirkung gespannt sind. Mit Knoten versehen, an denen Wenn.. dann-Bedingungen hängen. Am Ende gleicht das alles mehr einem Netz.
Natürlich kann man auch damit gebunden und zum Sklaven gemacht werden.
Wenn wir uns nun etwas konkreter auf unser Problem einlassen, dann stoßen wir zunächst auf die Beziehung Ursache ? Wirkung. Nehmen wir an, wir sagen: Menschen sind die Produkte ihrer Umwelt, weil sie von daher geprägt und erzogen werden. Wir erhalten die Beziehung Umwelt ? Mensch.
Nun besteht aber der wichtigste Teil der Umwelt jedes Menschen wieder aus Menschen. Selbst die Natur um uns ist vielfach menschlich geprägt. Und schon erhalten wir die Beziehung Mensch ? Umwelt.
Wir erhalten damit statt einer Ursache-Wirkungs-Beziehung eine Wechselwirkung. D.h. wir haben nun 2 Knotenschüre: Von der Umwelt zum Mensch und rückwärts vom Mensch zur Umwelt.
Scheinbar ist das kein Problem, in Wirklichkeit aber doch.
Worin besteht unser Problem ?
Kausalketten setzen die Ursache als gegeben und die Wirkung als Resultat. Allgemein können wir sagen, dass A als Ursache durch seine Wirkung B in B‘ verwandelt. Wenn wir nun aber zur Wechselwirkung übergehen, dann ist A nicht mehr nur Ursache, sondern zugleich Wirkung, d.h. A geht über in A‘. Damit erhalten wir aber ein Problem: Ist nun A oder A‘ Ursache ? Und wird damit B zu B‘ oder zu B“ ? Und je nachdem welches B wir erhalten ist dieses ja auch wieder Ursache von A.
Die Katze beißt sich damit in den Schwanz.
Und während sich die Katze in den Schwanz gebissen hat, ist unser ganzes schönes logisches Denken perdu. Wechselwirkungen widersetzen sich der Logik, weil sie den Satz von der Identität außer Kraft setzen.
Nur wenn wir die Tatsache einer Wechselwirkung ignorieren, können wir einerseits die Wirkung des Menschen auf die Umwelt und andererseits die Wirkung der Umwelt auf die Menschen untersuchen. Ohne das wir die andere Seite dabei mehr oder weniger ignorieren geht es aber nicht.
Wir können uns nur dieser Ignoranz bewußt sein und dann die Seiten wechseln. Das ist z.B. das übliche Vorgehen von Marx im Kapital, das Heerscharen gläubiger Jünger in schiere Verzweiflung gestürzt hat.
Damit wird Kausalität aber zu einem Spezialfall: Sie existiert nur in ihrer ganzen Reinheit und Strenge, wenn es keine Wechselwirkung gibt.
Wechselwirkungen gibt es aber immer. Und somit ist das Betrachten von Kausalität immer eine Abstraktion vom wirklichen Leben.
Eine notwendige und sinnvolle zwar, – denn sonst bliebe uns nur der allgemeine Satz, dass alles mit allem zusammenhängt und der verwechselt Erkenntnis mit wohlklingendem Rauschen,- aber eben doch eine Abstraktion.
Die Realität gehört den Wechselwirkungen.
Und damit erhalten wir ein Moment von Unbestimmtheit:
A wirkt auf B und macht es zu B‘.
B wirkt auf A und macht es zu A‘.
Da beides gleichzeitig geschieht, ist damit unbestimmt ob A oder A‘ auf B oder B‘ wirkt und umgekehrt. Erst wenn man eine Sequenz unterstellt, z.B. in der Form, dass erst A auf B wirken soll und dann B auf A können wir ein bestimmtes Resultat angeben.
D.h. aber der Determinismus den wir für die Realität annehmen, hat ein Moment der Unbestimmtheit. Damit erweist sich der Laplacsche Dämon als nicht existent.
Kein Gott kann alle Ursachen wissen, weil erst im Moment des Vollzugs A oder A‘ resp. B oder B‘ zur Ursache wird.
Auf dieser Unbestimmtheit basiert unsere Freiheit.
Andernfalls gäbe es keine, nur Schicksal.
Freiheit heisst demnach, dass wir uns in einer Wolke von Möglichkeiten bewegen und aktiv zu beeinflussen versuchen, welche Möglichkeit zur Wirklichkeit wird.
Dass wir dabei auch scheitern, gehört dazu.
Dass wir uns dadurch aber nicht abhalten lassen, auch.
Das heisst aber auch, dass Freiheit, Befreiung ein Prozess ist und kein Zustand in dem wir es uns irgendwann gemütlich machen können.
Wir werden freier dadurch, dass wir uns neue Möglichkeiten erarbeiten. Und wir können unfreier werden, weil uns Handlungsoptionen weg genommen werden.
Es heisst aber vor allem auch, dass die Behauptung wir seien frei und gleich geboren, eine Lüge ist, wenn auch eine im Verfassungsrang.
Als Baby war unsere einzige Möglichkeit nach der Mutter zu schreien, dass heisst unsere Möglichkeiten und damit unsere Freiheit waren sehr beschränkt.
Dafür waren wir gleich hilflos, aber nur für den Moment.
Die Unterschiede beginnen danach schon damit, ob unsere Mutter uns schreien hört oder nicht.
Das ist aber längst nicht alles: Mutter und Vater geben dem Kind ihre Gene mit und damit begründen sie die erste Form der Ungleichheit, Mutter und Vater haben einen sozialen Status und auch den vererben sie und schließlich sind da auch noch die silbernen Löffel in der Kredenz.
Die Folge von all dem: Spontan wird sich in jeder Gesellschaft mit der Zeit eine Aristokratie ausbilden, die dann im Laufe der Zeit die gesellschaftliche Entwicklung lähmt und erstickt.
Dass wir frei und gleich sein sollen, ist demnach zu aller erst ein Versprechen, an dessen Erfüllung wir alle arbeiten müssen.
Die Automatismen, die z.B. Libet aufgedeckt hat, stehen diesem Ziel nicht im Weg. Im Gegenteil: Nur wenn die Hände selber wissen, wie sie den Ball zu fangen haben, kann der Verstand z.B. des Handballspielers über Spielzüge und Spielstrategie nachdenken.
Oder beim Klaviervirtuosen: Gerade weil er die Musik (Noten, Tempi etc.) in seinen Fingern hat, kann ihn sein Verstand dazu befähigen dieses Stück auf eine ganz eigene Art zu interpretieren.“

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